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  • Notwehr und Nothilfe: Wann dürfen wir uns (oder andere) verteidigen?

Wird jemand körperlich angegriffen oder das Eigentum einer anderen Person beschädigt, greifen in der Regel die Strafnormen aus dem Strafgesetzbuch: Körperverletzung (§ 223 StGB) oder Sachbeschädigung (§ 303 StGB) können dann schnell im Raum stehen. Aber was passiert, wenn wir uns gegen einen solchen Angriff wehren? Oder wenn wir jemandem zur Hilfe kommen, der angegriffen wird?

In solchen Fällen spricht das Strafgesetzbuch in § 32 StGB vom Notwehrrecht – einem zentralen Rechtfertigungsgrund, der tief in unserer Rechtsordnung verankert ist. Dabei geht es nicht nur um das Recht, sich selbst zu schützen (Schutzprinzip), sondern auch um die Verteidigung der Rechtsordnung selbst (Rechtsbewährungsprinzip).

In diesem Beitrag klären wir, was genau unter Notwehr und Nothilfe zu verstehen ist, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wo die rechtlichen Grenzen liegen.

 

1. Was ist eine Notwehrlage?

Die Grundlage jeder Notwehrhandlung ist das Vorliegen einer sogenannten Notwehrlage. Diese besteht aus einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff.

a) Was gilt als Angriff?
Ein Angriff ist jede Bedrohung oder Verletzung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten – also etwa bei Angriffen auf Leben, Gesundheit, Eigentum oder Freiheit. Dabei ist es egal, ob der:die Angreifende schuldhaft handelt oder nicht. Angriffe durch Tiere fallen grundsätzlich nicht darunter – es sei denn, ein Mensch setzt ein Tier gezielt als Waffe ein.

b) Wann ist ein Angriff gegenwärtig?
Ein Angriff gilt als gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Wer einen Angriff bereits beendet hat, kann nicht mehr in Notwehr angegriffen werden. Reine Vorbeugemaßnahmen gegen möglicherweise künftige Angriffe sind ebenfalls nicht durch das Notwehrrecht gedeckt.

c) Was bedeutet rechtswidrig?
Ein Angriff ist dann rechtswidrig, wenn er gegen die Rechtsordnung verstößt – also ohne rechtfertigenden Grund erfolgt. Ein:e Angreifer:in, der:die selbst aus Notwehr handelt, greift somit nicht rechtswidrig an. Eine Notwehr gegen Notwehr ist daher ausgeschlossen.

 

2. Wann ist die Verteidigung gerechtfertigt?

Wenn eine Notwehrlage vorliegt, stellt sich die Frage, ob auch die Notwehrhandlung selbst rechtlich zulässig ist. Dabei sind drei Punkte zu prüfen:

a) Sie muss sich gegen den:die Angreifende:n richten
Die Abwehr darf nur die Person treffen, die den Angriff ausführt – nicht Unbeteiligte oder Dritte. Ihre Rechtsgüter dürfen nicht beeinträchtigt werden.

b) Die Handlung muss erforderlich sein
Erforderlich heißt: Die Handlung muss geeignet sein, den Angriff zu beenden oder abzumildern, und sie muss das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen. Wer sich mit weniger Schaden wehren kann, muss das tun.

Beispiel: Wer zwischen Pfefferspray und Messer wählen kann, muss zuerst zum Spray greifen – sofern es griffbereit ist.

c) Die Verteidigung muss geboten sein
In besonderen Fällen kann das Notwehrrecht eingeschränkt sein – insbesondere dann, wenn die Reaktion in einem krassen Missverhältnis zur Bedrohung steht oder wenn besondere soziale Bindungen zwischen den Beteiligten bestehen.

Solche Fälle sind unter anderem:

  • Krasses Missverhältnis: Eine überzogene Reaktion bei nur geringfügiger Gefahr (z. B. Kind pflückt Kirschen, wird mit Gewehr bedroht).
  • Angriffe von Schuldunfähigen: Kinder oder stark alkoholisierte Personen dürfen nicht ohne Weiteres angegriffen werden. Hier gilt die sog. Drei-Stufen-Theorie: Ausweichen → Schutzwehr → Trutzwehr.
  • Familiäre Beziehungen: Unter Ehepartner:innen oder nahen Angehörigen ist Zurückhaltung geboten – jedenfalls bei Bagatellfällen.
  • Selbst provozierte Notwehrlagen: Wer absichtlich eine Situation herbeiführt, um sich auf Notwehr zu berufen, verliert dieses Recht. Bei unbeabsichtigter, aber vorwerfbarer Provokation wird das Notwehrrecht eingeschränkt.

 

3. Was ist mit dem Verteidigungswillen?

Eine rechtlich erlaubte Notwehr setzt nicht nur objektive Voraussetzungen voraus, sondern auch einen subjektiven Verteidigungswillen. Das bedeutet: Die:der Handelnde muss erkannt haben, dass ein Angriff vorliegt – und in der Absicht handeln, diesen abzuwehren. Andere Motive dürfen zusätzlich vorhanden sein, aber der Wille zur Verteidigung muss maßgeblich sein.

 

4. Nothilfe: Für andere eingreifen

Das Notwehrrecht gilt nicht nur, wenn wir selbst betroffen sind. Es schützt auch die sog. Nothilfe, also das Eingreifen zu Gunsten eines anderen Menschen.

Voraussetzung ist, dass der Angriff die gleichen Merkmale wie bei der klassischen Notwehr erfüllt: gegenwärtig, rechtswidrig – und die Verteidigungshandlung muss erforderlich und geboten sein. Dann dürfen wir einschreiten, um Dritte zu schützen.

Beispiel: Wenn wir beobachten, wie jemand auf dem Parkplatz bedrängt oder attackiert wird, dürfen wir eingreifen – etwa indem wir den:die Angreifer:in körperlich abwehren, sofern dies notwendig ist.

 

Fazit: Notwehr ist erlaubt – aber nicht grenzenlos

Das Notwehrrecht erlaubt es uns, in akuten Gefahrensituationen für uns selbst oder andere einzutreten. Dabei schützt uns das Gesetz weitreichend – aber nicht schrankenlos. Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls: Wie stark ist die Bedrohung? Gibt es mildere Mittel? Wie ist das Verhältnis zwischen Angreifer:in und Verteidiger:in?
Wer sich rechtzeitig informiert, kann im Ernstfall besonnen reagieren – und rechtlich sicher handeln.

 

Als spezialisierte Kanzlei im Bereich des Straf- und Verkehrsrechts stehen wir bereit, um Sie in allen Fragen rund um Notwehr, Nothilfe und deren rechtliche Folgen zu unterstützen. Wenn Sie Hilfe benötigen oder eine Einschätzung zu Ihrem Fall wünschen, kontaktieren Sie uns gerne. Wir stehen Ihnen an unseren Standorten in Sulingen, Bremen, Osnabrück oder Online zur Verfügung.

FAQ’s zum Thema Notwehr 

1. Was ist der Unterschied zwischen Notwehr und Nothilfe?
Notwehr dient der Verteidigung eigener Rechte gegen einen Angriff. Nothilfe bedeutet, dass wir zugunsten einer dritten Person eingreifen, um deren Rechte zu schützen.

2. Darf man bei Notwehr auch tödliche Gewalt anwenden?
Tödliche Gewalt kann in extremen Fällen erlaubt sein, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Sie muss jedoch immer das letzte Mittel sein (ultima ratio).

3. Ist Notwehr auch gegen Kinder oder Betrunkene erlaubt?
Ja, aber das Notwehrrecht ist eingeschränkt. In solchen Fällen müssen mildere Maßnahmen wie Ausweichen oder Schutzwehr bevorzugt werden.

4. Kann ich mich auf Notwehr berufen, wenn ich den Angriff selbst provoziert habe?
Wenn die Provokation absichtlich war, entfällt das Notwehrrecht komplett. Bei unbeabsichtigter Provokation kann es eingeschränkt sein.

5. Was passiert, wenn die Polizei die Notwehrhandlung überprüft?
Wird eine Notwehrlage festgestellt, entfällt die Strafbarkeit. Die Polizei prüft genau, ob die Voraussetzungen des § 32 StGB erfüllt sind.

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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