Betriebsbedingte Kündigung – Voraussetzungen, Rechtsprechung und Handlungsmöglichkeiten
Eine betriebsbedingte Kündigung ist für Arbeitnehmer oft ein Schock. Doch sie ist nur wirksam, wenn der Arbeitgeber ganz bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllt. Fehler sind hier häufig – und sie können dazu führen, dass eine Kündigung unwirksam ist. Dieser Beitrag zeigt, wann eine betriebsbedingte Kündigung zulässig ist, welche Rechtsprechung dazu existiert und wie Betroffene richtig reagieren sollten.
1. Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung zulässig?
Voraussetzung für eine betriebsbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sind dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Typische Fälle sind etwa:
Auftragsrückgänge oder Umsatzverluste,
Schließung von Abteilungen oder Betriebsstätten,
Rationalisierungen, Umstrukturierungen oder Outsourcing,
oder eine Betriebsschließung.
Der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers muss dauerhaft entfallen – eine bloße Umverteilung der Aufgaben auf andere Mitarbeiter reicht nicht aus. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 17. Juni 1999 – 2 AZR 141/99) hat klargestellt, dass eine Kündigung nicht schon deshalb sozial gerechtfertigt ist, weil der Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung trifft. Diese Entscheidung muss vielmehr tatsächlich zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen.
👉 Vertiefender Beitrag hierzu: Betriebsbedingte Kündigung – was Continental-Mitarbeiter jetzt wissen müssen
2. Unternehmerentscheidung und gerichtliche Überprüfung
Grundsätzlich gilt: Die unternehmerische Entscheidung wird von den Gerichten respektiert. Sie wird nicht auf Zweckmäßigkeit, sondern nur auf Willkürfreiheit geprüft. Dennoch muss der Arbeitgeber nachweisen können, dass diese Entscheidung tatsächlich umgesetzt wird. Das BAG (Urteil vom 27. September 2012 – 2 AZR 516/11) entschied, dass eine bloß „vorgeschobene“ Umstrukturierung keine Kündigung rechtfertigt.
Praxisbeispiel: Kündigt ein Unternehmen einem Sachbearbeiter wegen angeblich weggefallener Aufgaben, vergibt diese aber anschließend an freie Mitarbeiter, ist die Kündigung unwirksam.

Auch in Zeiten von Kurzarbeit ist Vorsicht geboten: Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen schließen sich nicht automatisch aus – aber sie widersprechen sich oft inhaltlich. Eine genaue Prüfung ist hier entscheidend.
👉 Siehe hierzu unseren Beitrag: Schließt Kurzarbeit den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen aus?
3. Vorrang der Weiterbeschäftigung – die Pflicht zur Prüfung alternativer Arbeitsplätze
Selbst wenn betriebliche Gründe vorliegen, ist eine Kündigung nur das letzte Mittel. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann – auch in einer anderen Abteilung oder an einem anderen Standort. Unter Umständen ist auch eine Änderungskündigung zumutbar.

Das BAG (Urteil vom 29. März 2007 – 2 AZR 31/06) stellte klar, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, wenn der Arbeitgeber eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht geprüft hat.
👉 Mehr dazu im Beitrag: Änderungskündigung im Arbeitsrecht – Chancen, Risiken und Rechtsprechung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
4. Sozialauswahl – typische Fehler des Arbeitgebers
Wenn mehrere Arbeitnehmer vergleichbar beschäftigt sind, muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG durchführen. Dabei sind vier Kriterien zu berücksichtigen:
Dauer der Betriebszugehörigkeit,
Lebensalter,
Unterhaltspflichten,
Schwerbehinderung.
Fehler in der Sozialauswahl führen häufig zur Unwirksamkeit der Kündigung. So entschied das BAG (Urteil vom 6. November 2008 – 2 AZR 523/07), dass eine unzureichend dokumentierte Auswahlentscheidung gegen das Gebot der sozialen Rechtfertigung verstößt.
Praxisfehler entstehen oft, wenn Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter als „Leistungsträger“ von der Sozialauswahl ausnehmen, ohne dies ausreichend zu begründen.
5. Massenentlassungen – besondere formelle Anforderungen
Bei größeren Kündigungswellen – etwa im Zuge von Standortschließungen oder Rationalisierungen – greift § 17 KSchG. Danach muss der Arbeitgeber die beabsichtigten Entlassungen vorher bei der Agentur für Arbeit anzeigen.
Fehler in diesem Verfahren führen häufig zur Unwirksamkeit aller Kündigungen. Das BAG (Urteil vom 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21) betonte, dass die Massenentlassungsanzeige formell korrekt sein muss. Schon unvollständige Angaben oder ein fehlender Hinweis an den Betriebsrat können das gesamte Verfahren kippen lassen.
👉 Aktuell betroffen? Dann lesen Sie auch: Kündigungswelle bei Monacor in Bremen – was betroffene Arbeitnehmer jetzt tun können
6. Fristen, Abfindung und richtige Reaktionsstrategie
Wichtig: Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden (§ 4 KSchG). Danach gilt die Kündigung als wirksam – selbst wenn sie objektiv fehlerhaft ist.
Zwar besteht kein gesetzlicher Anspruch auf eine Abfindung, doch viele Verfahren enden mit einem gerichtlichen Vergleich. Die Chancen auf eine faire Abfindung steigen deutlich, wenn der Arbeitgeber rechtliche Risiken fürchtet – etwa wegen lückenhafter Dokumentation oder fehlerhafter Sozialauswahl.
👉 Mehr dazu: Kündigung – wie hoch ist die Abfindung?
Das BAG (Urteil vom 13. Dezember 2007 – 2 AZR 818/06) hat klargestellt, dass die Aussicht auf eine Abfindung insbesondere dann realistisch ist, wenn der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl oder der Weiterbeschäftigungsprüfung Fehler gemacht hat.
Fazit
Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur wirksam, wenn sie auf einer nachvollziehbaren unternehmerischen Entscheidung beruht, der Arbeitsplatz tatsächlich entfällt, keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht und die Sozialauswahl korrekt durchgeführt wurde.

In der Praxis scheitern viele Kündigungen an diesen Punkten – und Arbeitnehmer haben gute Chancen, sich erfolgreich dagegen zu wehren oder zumindest eine attraktive Abfindung auszuhandeln.
Wenn Sie arbeitsrechtliche Unterstützung oder weitere Informationen benötigen, stehen wir Ihnen gerne an unseren Standorten in Sulingen, Bremen, Osnabrück oder Online zur Verfügung.
❓ FAQ
1. Wann ist eine betriebsbedingte Kündigung wirksam?
Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur wirksam, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, der Arbeitsplatz tatsächlich entfällt und keine Weiterbeschäftigung möglich ist. Außerdem muss eine korrekte Sozialauswahl erfolgen.
2. Kann während der Kurzarbeit betriebsbedingt gekündigt werden?
Ja, theoretisch schon. In der Praxis widersprechen sich Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigung aber oft. Arbeitgeber müssen sehr genau begründen, warum trotz Kurzarbeit ein dauerhafter Wegfall des Arbeitsplatzes vorliegt.
👉 Schließt Kurzarbeit den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen aus?
3. Welche Rolle spielt die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung?
Die Sozialauswahl entscheidet, wer gekündigt wird. Arbeitgeber müssen Kriterien wie Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung berücksichtigen. Fehler hierbei machen viele Kündigungen unwirksam.
4. Habe ich Anspruch auf eine Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung?
Ein gesetzlicher Anspruch besteht meist nicht. In vielen Fällen lässt sich aber eine Abfindung aushandeln – insbesondere, wenn die Kündigung fehlerhaft ist oder der Arbeitgeber ein Prozessrisiko vermeiden möchte.
👉 Kündigung – wie hoch ist die Abfindung?
5. Wie lange habe ich Zeit, gegen eine Kündigung zu klagen?
Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingehen (§ 4 KSchG). Nach Ablauf dieser Frist gilt die Kündigung als wirksam.