Vom Zahlendreher zum Tattoo – Wann eine Tätowierung zur schweren Körperverletzung wird
Tätowierungen sind eigentlich eine Form der Selbstverwirklichung – im besten Fall. Doch was passiert, wenn ein Tattoo gegen den Willen des Betroffenen gestochen wird – noch dazu mitten ins Gesicht? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dazu im April 2025 ein klares Urteil gefällt. Es geht um Rache, Entstellung und die Frage, wann eine Tätowierung zur schweren Körperverletzung wird (§ 226 StGB).
1. Der Fall: Ein Tattoo aus Rache
Was wie eine Szene aus einem schlechten Film klingt, passierte tatsächlich: Ein Mann wollte sich die Zahlenfolge „1312“ – ein Code für „All Cops Are Bastards“ – auf die Fingerrücken tätowieren lassen. Der Tätowierer jedoch vertippte sich und stach versehentlich „1213“. Der spätere Angeklagte, der sich tätowieren ließ, empfand diesen Fehler nicht nur als peinlich, sondern auch als massive Provokation. Seine Reaktion: Er tätowierte dem Tätowierer aus Rache das Wort „FUCK“ in etwa 1,5 x 4,5 cm Größe über die rechte Augenbraue – gut sichtbar im Gesicht.
Der Geschädigte war weder vorher im Gesicht tätowiert noch hatte er dem Tattoo zugestimmt. Er leidet seither erheblich unter der Situation, trägt seine Haare ins Gesicht, um das Tattoo zu verbergen, und kann sich eine Laserbehandlung schlicht nicht leisten.
2. Juristische Bewertung: Körperverletzung mit gravierenden Folgen
Bereits das ungewollte Stechen eines Tattoos erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB). Denn es handelt sich um eine körperliche Misshandlung, die die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Doch der Fall ging weiter – die zentrale Frage war: Handelt es sich auch um eine schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB?
Die Antwort des BGH: Ja.
Nach dieser Vorschrift liegt eine schwere Körperverletzung dann vor, wenn das Opfer „in erheblicher Weise dauernd entstellt“ wird. Und genau das sei hier der Fall: Eine auffällige, vulgäre Tätowierung im Gesicht stellt laut BGH eine erhebliche und dauerhafte Entstellung dar – selbst dann, wenn theoretisch eine spätere Entfernung per Laser möglich wäre.
3. Dauerhafte Entstellung trotz möglicher Lasertherapie?
Das Landgericht Bochum hatte diese Sichtweise zunächst nicht geteilt. Es war der Meinung, dass die Entstellung nicht „dauerhaft“ sei, weil das Tattoo ja grundsätzlich entfernt werden könne. Doch der BGH stellte klar: Entscheidend ist der Zustand zum Zeitpunkt des Urteils der ersten Instanz.
Zum Zeitpunkt des Urteils hatte der Geschädigte keine Laserbehandlung begonnen – vor allem aus finanziellen Gründen. Und genau das zählt. Denn die Möglichkeit einer kosmetischen Korrektur führt nicht dazu, dass die Entstellung strafrechtlich weniger gewichtig wird. Zudem betonte der BGH, dass gerade das Wort „FUCK“ als besonders gesellschaftlich stigmatisierend wahrgenommen wird. Das Tattoo wirkt sich massiv auf das äußere Erscheinungsbild und das soziale Ansehen des Betroffenen aus.
Ein weiterer Punkt: Der Angeklagte handelte absichtlich, um den Geschädigten zu bestrafen und öffentlich zu demütigen. Auch das spricht für die Einordnung als schwere Körperverletzung.
4. Bedeutung für die Praxis: Neue Maßstäbe bei Entstellung durch Tattoos
Das Urteil des BGH hat Signalwirkung: Tätowierungen im Gesicht gegen den Willen der betroffenen Person können nicht nur als einfache, sondern sogar als schwere Körperverletzung gewertet werden. Besonders dann, wenn sie das Erscheinungsbild dauerhaft und erheblich verändern – wie bei einer auffälligen Tätowierung im sichtbaren Bereich mit beleidigendem Inhalt.
Wichtig: Der BGH stellt klar, dass selbst die theoretische Möglichkeit einer Entfernung durch kosmetische Maßnahmen (Laserbehandlung etc.) keine Rolle spielt, wenn sie aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht in Anspruch genommen wird.
Für die Strafrechtspraxis bedeutet das: Die Schwelle zur schweren Körperverletzung kann schneller überschritten sein als bislang angenommen – insbesondere bei sichtbaren und stigmatisierenden Eingriffen in das äußere Erscheinungsbild.
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FAQ zu diesem Thema
1. Ist eine Tätowierung immer eine Körperverletzung?
Nicht zwangsläufig. Eine Tätowierung ist nur dann eine Körperverletzung, wenn sie gegen den Willen der betroffenen Person erfolgt.
2. Was bedeutet „dauerhafte Entstellung“ im Strafrecht?
Eine dauerhafte Entstellung liegt vor, wenn das äußere Erscheinungsbild eines Menschen langfristig und erheblich verändert wird – z. B. durch Narben oder auffällige Tattoos im Gesicht.
3. Spielt es eine Rolle, ob das Tattoo später entfernt werden kann?
Laut BGH: Nein. Entscheidend ist der Zustand zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung – und ob die betroffene Person die Entfernung tatsächlich in Erwägung zieht oder finanziell leisten kann.
4. Kann auch eine kleine Tätowierung als schwere Körperverletzung gelten?
Ja, wenn sie sichtbar und gesellschaftlich stigmatisierend ist – z. B. Beleidigungen im Gesicht oder an anderen prominenten Körperstellen.
5. Welche Strafe droht bei schwerer Körperverletzung durch ein Tattoo?
Bei schwerer Körperverletzung gemäß § 226 StGB drohen Freiheitsstrafen von mindestens drei Jahren – in besonders schweren Fällen sogar mehr.