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  • Strafbarkeit durch Unterlassen gem. § 13 StGB – Wenn auch das Nichtstun strafbar ist

In vielen Fällen stellen wir uns Straftaten als aktive Handlungen vor: Ein:e Täter:in schlägt zu, beschädigt etwas oder verursacht einen Unfall. Doch auch das Nichtstun kann strafbar sein – und zwar dann, wenn jemand eine rechtlich gebotene Handlung unterlässt, obwohl sie oder er dazu verpflichtet gewesen wäre. Die Strafbarkeit durch Unterlassen spielt auch im Verkehrsrecht sowie in bestimmten Konstellationen im Arbeitsrecht eine Rolle – zum Beispiel bei unterlassenen Sicherungsmaßnahmen oder dem Nichtmelden eines Unfalls. In diesem Beitrag geben wir einen praxisnahen Überblick, wann das Unterlassen strafbar wird und worauf Beschuldigte achten sollten.

 

1. Was ist ein Unterlassungsdelikt?

Im Strafgesetzbuch (StGB) ist der Großteil der Straftatbestände auf ein aktives Tun ausgelegt. Doch § 13 StGB macht deutlich: Auch das pflichtwidrige Unterlassen kann strafbar sein. Das gilt insbesondere, wenn jemand nicht eingreift, obwohl er oder sie rechtlich dazu verpflichtet gewesen wäre, einen Schaden zu verhindern.

Unterschieden wird zwischen:

  • Echten Unterlassungsdelikten, wie etwa der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB), und
  • Unechten Unterlassungsdelikten, bei denen ein eigentlich auf aktives Tun ausgelegter Tatbestand – wie Körperverletzung oder Totschlag – durch Nicht-Handeln erfüllt wird. In solchen Fällen ist § 13 StGB die rechtliche Grundlage.

Beispiel aus dem Verkehrsrecht: Wer nach einem selbstverschuldeten Unfall nicht Erste Hilfe leistet oder keinen Notruf absetzt, obwohl es möglich und zumutbar wäre, kann sich strafbar machen – nicht nur wegen Fahrerflucht, sondern auch wegen eines Unterlassungsdelikts.

 

2. Voraussetzungen für die Strafbarkeit durch Unterlassen

Damit eine Strafbarkeit durch Unterlassen überhaupt in Betracht kommt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

a) Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs
Ein Schaden muss eingetreten sein – z. B. eine verletzte Person nach einem Unfall. Ohne diesen Erfolg keine Strafbarkeit.

b) Physisch-reale Handlungsmöglichkeit
Die beschuldigte Person muss in der Lage gewesen sein, zu handeln. Wer etwa bewusstlos ist oder nicht schwimmen kann, kann nicht für eine unterlassene Rettung im Wasser verantwortlich gemacht werden.

Wichtig für Autofahrer:innen: Einen Notruf abzusetzen ist fast immer zumutbar – wer das unterlässt, kann sich strafbar machen.

c) Quasi-Kausalität und objektive Zurechnung
Es muss nahezu sicher sein, dass der tatbestandliche Erfolg bei rechtzeitigem Handeln nicht eingetreten wäre. Man spricht hier von „hypothetischer Kausalität“.

Beispiel: Wird nach einem Verkehrsunfall keine Hilfe geleistet und die verletzte Person stirbt, obwohl eine schnelle medizinische Versorgung sie wahrscheinlich gerettet hätte, liegt eine relevante Unterlassung vor.

d) Garantenstellung – wann besteht eine Pflicht zum Handeln?
Eine zentrale Voraussetzung ist die sog. Garantenstellung: Nur wer eine besondere rechtliche Pflicht zum Schutz oder zur Überwachung hat, kann wegen Unterlassens belangt werden.

  • Beschützergaranten sind z. B. Eltern gegenüber ihren Kindern oder Ehepartner:innen untereinander.
  • Überwachungsgaranten ergeben sich oft aus dem Verkehrsrecht: Wer ein Fahrzeug führt, schafft eine Gefahrenquelle und ist daher verpflichtet, Schäden zu verhindern (Stichwort: Ingerenz). Gleiches gilt für Arbeitgeber:innen, die ihre Mitarbeitenden nicht ausreichend absichern.

Gerade im arbeitsrechtlichen Kontext kann eine Garantenstellung entstehen, wenn Vorgesetzte Sicherheitsvorkehrungen unterlassen und dadurch Beschäftigte zu Schaden kommen.

 

3. Die Entsprechungsklausel: Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen

§ 13 StGB verlangt, dass das Unterlassen dem aktiven Tun „entspricht“. Diese sogenannte Entsprechungsklausel ist meist erfüllt, wenn der tatbestandliche Erfolg auch durch ein aktives Verhalten hätte verhindert werden können – was z. B. bei Körperverletzung, Totschlag oder Sachbeschädigung meist problemlos gegeben ist.

 

4. Rechtfertigung: Die Pflichtenkollision

In seltenen Fällen ist das Unterlassen nicht strafbar, weil die beschuldigte Person rechtlich gerechtfertigt war – etwa wegen einer Pflichtenkollision. Diese tritt ein, wenn man zwei Pflichten nicht gleichzeitig erfüllen kann.

Beispiel: Ein:e Autofahrer:in muss sich entscheiden, ob er oder sie bei einem Unfall das eigene Kind oder eine fremde Person rettet – eine moralisch wie rechtlich schwierige Entscheidung. In solchen Fällen kann die Nichterfüllung einer Pflicht ausnahmsweise gerechtfertigt sein.

 

5. Schuld: Wann ist ein Unterlassen entschuldbar?

Neben den bekannten Entschuldigungsgründen wie Notwehr oder Notstand ist bei Unterlassungsdelikten die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens anerkannt. Das bedeutet: Wenn ein:e Täter:in durch das gebotene Handeln sich selbst erheblichen Gefahren ausgesetzt hätte, kann das Verhalten entschuldbar sein.

Praxisbeispiel im Straßenverkehr: Wer beim Unfall die Rettung nur leisten könnte, indem er selbst in große Gefahr gerät (z. B. bei brennendem Fahrzeug), ist nicht verpflichtet, sich selbst zu opfern. Auch in arbeitsrechtlichen Notfällen kann dies relevant sein, wenn z. B. durch Hilfeleistung gravierende eigene Verletzungen drohen.

 

Fazit: Was sollten Beschuldigte wissen?

Die Strafbarkeit durch Unterlassen ist ein komplexes Thema – mit vielen Fallstricken für Beschuldigte. Gerade im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz bestehen oft unerkannte Handlungspflichten, die im Ernstfall strafrechtlich relevant werden können. Wer einen Unfall ignoriert, Erste Hilfe unterlässt oder eine Gefahrenquelle nicht absichert, kann schnell ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten.

Unser Rat: Nehmen Sie derartige Vorwürfe ernst und holen Sie sich frühzeitig juristischen Beistand. Denn ob ein Unterlassen wirklich strafbar war, hängt stets vom konkreten Einzelfall ab – und lässt sich ohne anwaltliche Unterstützung oft kaum sicher einschätzen.

Als spezialisierte Kanzlei im Bereich des Straf-, Verkehrs- und Arbeitsrechts stehen wir bereit, um Sie in allen Fragen rund um strafrechtliche Vorwürfe wegen Unterlassens zu unterstützen. Unsere Expertise reicht von der Erstberatung über die Vertretung im Ermittlungsverfahren bis zur Verteidigung im Strafprozess. Wenn Sie Unterstützung benötigen, stehen wir Ihnen an unseren Standorten in Sulingen, Bremen, Osnabrück oder Online gerne zur Verfügung.

 

FAQ’s zum Thema Unterlassen 

1. Wann ist Unterlassen überhaupt strafbar?
Unterlassen ist dann strafbar, wenn jemand trotz bestehender rechtlicher Pflicht nicht handelt, obwohl dadurch ein Schaden hätte verhindert werden können. Das gilt bei einer sogenannten Garantenstellung, z. B. als Elternteil, Unfallverursacher:in oder Arbeitgeber:in.

2. Was ist eine Garantenstellung?
Eine Garantenstellung verpflichtet dazu, bestimmte Rechtsgüter zu schützen. Sie entsteht z. B. durch familiäre Beziehungen, vertragliche Verpflichtungen, oder durch die Schaffung einer Gefahr (z. B. im Straßenverkehr durch einen Unfall). Wer eine solche Stellung innehat, muss im Ernstfall handeln – sonst droht eine Strafbarkeit durch Unterlassen.

3. Kann ich mich auch als Laie strafbar machen, wenn ich nicht helfe?
Ja, unter bestimmten Voraussetzungen. Wer z. B. Erste Hilfe unterlässt, obwohl sie oder er dazu in der Lage und verpflichtet gewesen wäre, kann sich wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB strafbar machen – unabhängig von einer Garantenstellung.

4. Welche Rolle spielt Unterlassen im Straßenverkehr?
Im Verkehrsrecht ist Unterlassen besonders relevant: Unfallverursacher:innen oder Zeug:innen können sich strafbar machen, wenn sie keine Hilfe leisten oder keine Rettungskräfte rufen – selbst dann, wenn sie sich nicht aktiv am Unfall beteiligt haben.

5. Was soll ich tun, wenn mir eine Strafanzeige wegen Unterlassens droht?
Wenden Sie sich umgehend an eine anwaltliche Vertretung. Die Beurteilung, ob eine Strafbarkeit tatsächlich vorliegt, ist komplex und hängt vom Einzelfall ab. Eine frühzeitige juristische Einschätzung schützt vor Fehlentscheidungen im Ermittlungsverfahren.

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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