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  • Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit im Strafrecht: Wer kann überhaupt bestraft werden?

Was passiert, wenn eine 15-Jährige in Bremen einen Diebstahl begeht? Oder wenn ein Heranwachsender unter Drogeneinfluss eine gefährliche Körperverletzung verübt? In solchen Fällen geht es nicht nur darum, eine Straftat vorliegt – sondern auch darum, ob die handelnde Person überhaupt schuldfähig war. Denn: Eine Strafe darf nur verhängt werden, wenn die Täter:in das Unrecht der Tat erkennen und entsprechend handeln konnte.

In diesem Beitrag erklären wir verständlich und praxisnah, wann Schuldfähigkeit gegeben ist – und wann Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit eine Bestrafung ausschließen oder abmildern können. Gerade in einem urbanen Umfeld wie Bremen, mit vielfältigen Lebensrealitäten junger Menschen, sind solche Fragen von hoher praktischer Relevanz.

 

1. Was bedeutet Schuldfähigkeit?

Schuldfähigkeit bedeutet, dass eine Person bei Begehung einer Straftat in der Lage war, das Unrecht ihres Handelns zu erkennen (Einsichtsfähigkeit) und sich auch entsprechend zu verhalten (Steuerungsfähigkeit). Diese Voraussetzungen ergeben sich aus §§ 17, 20 StGB.

Fehlt eine dieser Fähigkeiten – sei es durch junges Alter, psychische Erkrankung oder den Einfluss berauschender Mittel – kann eine Strafe entfallen oder abgemildert werden. Ob Schuldfähigkeit vorliegt, ist immer individuell zu prüfen – eine pauschale Bewertung gibt es nicht.

 

2. Schuldunfähig durch junges Alter: Die Grenze bei 14 Jahren

Kinder unter 14 Jahren gelten in Deutschland als strafunmündig (§ 19 StGB). Das bedeutet: Sie sind unwiderlegbar schuldunfähig – eine strafrechtliche Verfolgung findet nicht statt, selbst wenn objektiv eine Straftat vorliegt. Bei Fehlverhalten dieser Altersgruppe greifen sozialrechtliche Maßnahmen, z. B. durch das Jugendamt oder das Familiengericht.

Ab dem 14. Lebensjahr kann eine Bestrafung grundsätzlich erfolgen – wenn die jugendliche Person die nötige geistige und sittliche Reife besitzt, um das Unrecht der Tat zu erkennen und entsprechend zu handeln (§ 3 JGG). Hier kommt das Jugendstrafrecht ins Spiel, dessen Fokus jedoch nicht auf Strafe, sondern auf Erziehung liegt. In Bremen wird in solchen Fällen die Jugendstaatsanwaltschaft tätig.

 

3. Schuldunfähigkeit durch seelische Störungen oder Intelligenzminderung

Auch unabhängig vom Alter kann eine Person schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB sein. Dieser Fall tritt ein, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung vollständig fehlte – z. B. aufgrund:

  • Krankhafter seelischer Störung (z. B. Schizophrenie, manisch-depressive Psychosen)

  • Tiefgreifender Bewusstseinsstörung (z. B. durch akuten Alkoholrausch, Drogen, extreme Übermüdung)

  • Angeborenem oder erworbenem Schwachsinn (z. B. geistige Behinderung)

  • Schweren seelischen Abartigkeiten (z. B. ausgeprägte Psychopathien, extreme Neurosen)

In diesen Fällen kann die Strafverfolgung entfallen. Stattdessen sind Maßnahmen der Besserung und Sicherung (§§ 63, 64 StGB) möglich – etwa eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Auch junge Menschen in Bremen wurden in der Vergangenheit immer wieder in solchen Einrichtungen untergebracht, wenn eine Schuldfähigkeit nicht gegeben war.

 

4. Verminderte Schuldfähigkeit: Strafe ja, aber milder

Nicht jede psychische Beeinträchtigung führt automatisch zur Schuldunfähigkeit. Liegt lediglich eine eingeschränkte Schuldfähigkeit vor – z. B. bei leichteren psychischen Störungen oder einem Promillewert ab 2,0 ‰ – kommt eine Strafmilderung nach § 21 StGB in Betracht.

Die Rechtsprechung arbeitet hier mit bestimmten Richtwerten, insbesondere bei Alkohol:

  • Ab 2,0 ‰: verminderte Schuldfähigkeit möglich

  • Ab 3,0 ‰: Schuldunfähigkeit kann vorliegen

  • Bei Tötungsdelikten gelten strengere Grenzen: 2,2 ‰ für verminderte Schuldfähigkeit, 3,3 ‰ für Schuldunfähigkeit

Diese Werte sind aber keine starren Grenzen – das Gericht muss immer eine Einzelfallprüfung durchführen, häufig unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Gutachtens.

 

5. Sonderfall: Schuldfähigkeit bewusst herbeigeführt?

Ein spannender Grenzbereich ist die sogenannte actio libera in causa (alic). Dabei macht sich eine Person vorsätzlich schuldunfähig, um anschließend eine Straftat zu begehen – etwa durch geplantes Betrinken mit dem Ziel, aggressiv zu werden. In solchen Fällen kann trotzdem eine Strafbarkeit bestehen, weil das Vorsatzverhalten in einem schuldfähigen Zustand lag. Auch diese Konstellation wird in der Praxis – etwa bei Schlägereien nach Disko-Besuchen in Bremen – regelmäßig diskutiert.

 

6. Jugendstrafrecht als besonderer Rahmen bei Schuldfähigkeit

Auch wenn das Jugendstrafrecht (nach dem JGG) kein eigener Schuldfähigkeitsmaßstab ist, greift es bei Jugendlichen (14–17 Jahre) und Heranwachsenden (18–20 Jahre), wenn Reife und Schuldfähigkeit im Mittelpunkt stehen. Im Jugendstrafrecht ist insbesondere die Persönlichkeit der Täter:in entscheidend: Strafen sollen nicht bestrafen, sondern erziehen.

Bei Schuldunfähigkeit wird auch im Jugendstrafrecht keine Strafe verhängt. Möglich sind jedoch Maßnahmen wie Erziehungsbeistandschaft oder Heimerziehung – mit dem Ziel, die:den Beschuldigten zu stabilisieren und zukünftige Straftaten zu vermeiden. In Bremen greifen hier enge Kooperationen zwischen Jugendgericht, Jugendamt und freien Trägern der Jugendhilfe.

 

Fazit: Schuldfähigkeit entscheidet über Strafe – individuell und gerecht

Die Frage nach Schuldfähigkeit ist eine der wichtigsten im Strafrecht. Sie entscheidet darüber, ob eine Person überhaupt bestraft werden darf – oder ob stattdessen therapeutische oder erzieherische Maßnahmen notwendig sind. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind genaue Prüfung, fachliche Gutachten und individuelle Lösungen gefragt.
In Bremen zeigt sich: Wer mit dem Gesetz in Konflikt gerät, braucht nicht nur juristische Begleitung – sondern auch eine differenzierte Betrachtung seiner persönlichen Situation. Nur so gelingt ein gerechter Umgang mit Fehlverhalten.

 

Wenn Sie rechtliche Unterstützung zum Thema Schuldfähigkeit, Schuldunfähigkeit oder Jugendstrafrecht benötigen, stehen wir Ihnen an unseren Standorten in Bremen, Sulingen, Osnabrück oder Online gerne zur Seite. Als erfahrene Kanzlei im Straf- und Jugendstrafrecht begleiten wir Sie kompetent und persönlich.

 

FAQ’s zum Thema Schuld

1. Ab wann ist man im Strafrecht schuldfähig?
Schuldfähig ist, wer das Unrecht einer Tat erkennen und nach dieser Einsicht handeln kann. Kinder unter 14 Jahren gelten generell als schuldunfähig.

2. Wann liegt Schuldunfähigkeit vor?
Schuldunfähigkeit liegt vor, wenn eine Person bei der Tat aufgrund von seelischen Störungen, Intelligenzminderung oder starkem Rausch nicht einsichts- oder steuerungsfähig war (§ 20 StGB).

3. Welche Rolle spielt Alkohol bei der Schuldfähigkeit?
Ab 2,0 ‰ Blutalkoholkonzentration kann eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegen, ab 3,0 ‰ ggf. sogar Schuldunfähigkeit – abhängig vom Einzelfall.

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Christian Odebrecht 
Strafverteidiger

Björn Steveker 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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